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Sonn- und Feiertagszuschläge bei Mindestlohn

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn ist erfüllt, wenn die vom Arbeitgeber für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden multipliziert mit 8,50 € brutto ergibt.

Der Arbeitgeber ist nach § 611 Abs. 1 BGB (seit 1.04.2017: § 611a Abs. 2 BGB) dem Arbeitnehmer zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Neben diesen arbeitsvertraglichen und auf betrieblicher Übung beruhenden Ansprüchen hat die Arbeitnehmerin nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 MiLoG für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde Anspruch auf den Mindestlohn von 8,50 € brutto.

Dieser gesetzliche Anspruch tritt eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch; wird der gesetzliche Mindestlohn unterschritten, führt § 3 MiLoG zu einen Differenzanspruch.

Mit dem geleisteten Entgelt hat die Arbeitgeberin nicht nur den Anspruch der Arbeitnehmerin auf den gesetzlichen Mindestlohn, sondern auch die vertraglichen Vergütungsansprüche – hier: Stundenlohn von 6,60 € brutto und Zuschlag für Sonn- und Feiertagsarbeit von 2,00 € brutto je Stunde – erfüllt.

Der Arbeitgeber erfüllt einen Bruttoentgeltanspruch, wenn er den sich daraus ergebenden Auszahlungsbetrag (“Nettoverdienst”) an den Arbeitnehmer zahlt sowie die darauf anfallende Einkommensteuer, deren Schuldner der Arbeitnehmer ist (§ 38 Abs. 2 EStG), und den Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28g SGB IV) an die zuständigen Stellen abführt. Gemäß § 362 Abs. 1 BGB tritt nach der Theorie der realen Leistungsbewirkung die Erfüllungswirkung als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein. Die Erfüllungswirkung ist kraft Gesetzes objektive Tatbestandsfolge der Leistung. Ein zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal ist grundsätzlich nicht erforderlich. Kann die Leistung des Schuldners einem bestimmten Schuldverhältnis, d.h. einer bestimmten Leistungspflicht, zugeordnet werden oder reicht sie zur Tilgung aller Verbindlichkeiten aus mehreren Schuldverhältnissen (im engeren Sinne) aus, bedarf es zum Erlöschen der Forderungen keiner Tilgungsbestimmung. Nur wenn das vom Schuldner Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus mehreren Schuldverhältnissen ausreicht, wird diejenige Schuld getilgt, die er bestimmt (§ 366 Abs. 1 BGB) oder die sich aus der gesetzlichen Tilgungsreihenfolge (§ 366 Abs. 2 BGB) ergibt. Durch eine sog. negative Tilgungsbestimmung kann der Schuldner die durch die Leistungsbewirkung an sich eintretende Erfüllungswirkung ausschließen.

Hiernach hat die Arbeitgeberin durch ihre geleisteten Zahlungen alle Entgeltansprüche der Arbeitnehmerin im Streitzeitraum erfüllt.

Mindestlohnwirksam, dh. geeignet den Mindestlohnanspruch zu erfüllen, sind alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen mit Ausnahme der Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (zB § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen. Dies beruht darauf, dass der Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG “je Zeitstunde” festgesetzt ist und das Gesetz den Anspruch nicht von der zeitlichen Lage der Arbeit oder den mit der Arbeitsleistung verbundenen Umständen oder Erfolgen abhängig macht. Entgegen der Auffassung der Arbeitnehmerin gebietet die Entstehungsgeschichte des Mindestlohngesetzes kein anderes Verständnis. Der Begriff der “Normalleistung” hat keinen Eingang in den Wortlaut des Mindestlohngesetzes gefunden.

Danach sind Zuschläge für Arbeit an Sonn- und Feiertagen mindestlohnwirksam. Sie sind im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachtes Arbeitsentgelt und werden gerade für die tatsächliche Arbeitsleistung gewährt. Einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegen Sonn- und Feiertagszuschläge nicht. Anders als für während der Nachtzeit geleistete Arbeitsstunden begründet das Arbeitszeitgesetz keine besonderen Zahlungspflichten des Arbeitgebers für Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Neben einer Mindestzahl beschäftigungsfreier Sonntage (§ 11 Abs. 1 ArbZG) sieht § 11 Abs. 3 ArbZG als Ausgleich für Sonn- und Feiertagsarbeit lediglich Ersatzruhetage vor.

Zur Herbeiführung der Erfüllungswirkung der erbrachten Zahlungen bedurfte es keiner Leistungsbestimmung der Arbeitgeberin. Zwar war die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin aus mehreren Schuldverhältnissen im engeren Sinne verpflichtet, nämlich den sich aus Arbeitsvertrag, betrieblicher Übung und dem Mindestlohngesetz ergebenden Forderungen. Doch war in der Abrechnungsperiode Kalendermonat, die für vertragliche Ansprüche nach der vereinbarten Fälligkeitsabrede maßgeblich ist und sich für den Mindestlohnanspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MiLoG ergibt, die Summe des vertraglich geschuldeten Stundenlohns von 6, 60 Euro und der Sonn- und Feiertagszuschläge von 2, 00 Euro je geleisteter Stunde im Streitzeitraum stets niedriger als der von der Arbeitgeberin geleistete gesetzliche Mindestlohn. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass das von der Arbeitgeberin Gezahlte jedenfalls rechnerisch geeignet ist, den vertraglichen Entgeltanspruch der Arbeitnehmerin vollständig zu erfüllen. Dementsprechend hat die Arbeitnehmerin nicht vorgebracht, bei Multiplikation der in den streitgegenständlichen Monaten zu vergütenden Stunden mit 6, 60 Euro brutto zuzüglich der angefallenen Sonn- und Feiertagszuschläge ergebe sich ein höherer Betrag als derjenige, der von der Arbeitgeberin gezahlt worden ist. Ebenso wenig hat die Arbeitnehmerin geltend gemacht, bei Berücksichtigung der Steuerfreiheit von Sonn- und Feiertagszuschlägen nach § 3b EStG würden sich höhere Nettoauszahlungen als die ergeben, die die Arbeitgeberin geleistet bzw. nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts entsprechend den der Arbeitnehmerin erteilten Neuabrechnungen nachgezahlt hat. Einer ausdrücklich auf Sonn- und Feiertagszuschläge gerichteten Tilgungsbestimmung bedurfte es deshalb entgegen der Auffassung der Arbeitnehmerin nicht.

Tritt die Erfüllungswirkung als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein, kommt es auf subjektive Vorstellungen des Schuldners grundsätzlich nicht an. Deshalb ist es entgegen der Auffassung der Arbeitnehmerin unerheblich, ob die Arbeitgeberin zum jeweiligen Zeitpunkt der Zahlung des Entgelts für die Monate Juni 2015 bis Januar 2016 noch in ihrem Rechtsirrtum über das Bestehen einer betrieblichen Übung auf Sonn- und Feiertagszuschläge verhaftet war oder aufgrund des von der Arbeitnehmerin am 24.02.2015 anhängig gemachten Vorprozesses mit einem entsprechenden Anspruch der Arbeitnehmerin rechnete und diesen durch “Anrechnung” miterfüllen wollte. Maßgeblich ist allein, dass eine entsprechende Verbindlichkeit objektiv bestand und die Leistung der Arbeitgeberin alle für den jeweiligen Monat bestehenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis als Schuldverhältnis im weiteren Sinne abgedeckt hat.

Die Arbeitgeberin hat im vorliegenden Fall auch nicht in den erteilten Abrechnungen eine negative Leistungsbestimmung getroffen. Der Arbeitgeber ist nach § 108 Abs. 1 GewO verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Darin kann er grundsätzlich auch eine – positive oder negative – Tilgungsbestimmung treffen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer spätestens “bei der Leistung” tatsächlich eine Abrechnung erhalten hat. Denn eine nachträgliche Tilgungsbestimmung ist unwirksam, wenn sie nicht ausdrücklich oder konkludent vorbehalten war.

Im vorliegenden Fall ließ die in der Abrechnung enthaltene Bezeichnung der Leistung als “Aushilfslohn/-gehalt” nur deren Zuordnung zum Arbeitsverhältnis als Schuldverhältnis im weiteren Sinne zu. Die Bezeichnung spezifiziert aber nicht einzelne Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis, schließt solche insbesondere nicht aus und ist deshalb ungeeignet, eine negative Tilgungsbestimmung zu treffen. Die Arbeitnehmerin, die zu Beginn des Streitzeitraums bereits einen Vorprozess anhängig gemacht hatte, in dem sie sich eines Anspruchs auf Sonn- und Feiertagszuschläge aufgrund betrieblicher Übung berühmte, durfte nicht annehmen, die Arbeitgeberin wolle mit der weiten Bezeichnung der Entgeltzahlungen als “Aushilfslohn/-gehalt” die Tilgung des möglicherweise objektiv bestehenden Anspruchs der Arbeitnehmerin auf Sonn- und Feiertagszuschläge ausschließen, zumal alle Schuldverhältnisse der Parteien im engeren Sinne auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen.

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn ist erfüllt, wenn die vom Arbeitgeber für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden multipliziert mit – im Streitzeitraum – 8,50 € brutto ergibt.


Quelle: BAG, Urteil vom 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17

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