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Auskunftsanspruch der Gesellschaft gegenüber Geschäftsführer

Die Gesellschaft trägt im Rechtsstreit um Schadensersatzansprüche gegen ihren Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG die Darlegungs- und Beweislast nur dafür, dass und inwieweit ihr durch ein Verhalten des Geschäftsführers in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist. Hingegen hat der Geschäftsführer darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG nachgekommen ist, ihn kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.

Die klagende GmbH entwickelt und erbringt Serviceleistungen im IT-Bereich. Sie beschäftigte im Juli 2017 45 angestellte und vier freie Mitarbeiter an den Standorten R. und Bo. . Der Beklagte war zunächst alleiniger Geschäftsführer der Klägerin und neben B. zur Hälfte am Stammkapital der Klägerin beteiligt. Am 17. Juli 2017 wurde B. zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Beklagte, der seinen Geschäftsanteil am 28. Juli 2017 auf die N. UG i.Gr. übertrug, wurde später als Geschäftsführer abberufen; er legte auch sein Amt nieder.

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Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, er habe ihren Geschäftsbetrieb ohne Kompensation und Zustimmung der Gesellschafterversammlung auf Wettbewerber, insbesondere die O. GmbH und die S. GmbH übertragen. Die Kündigungen der Mitarbeiter am 30. Juni 2017, 31. Juli 2017 und 31. August 2017 seien gesteuert und koordiniert erfolgt. Sie verlangt im Wege der Stufenklage Auskunft und Schadensersatz, hilfsweise die Feststellung einer Schadensersatzpflicht und weiter hilfsweise die Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 100.000 €.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Mit ihrer Beschwerde will die Klägerin die Zulassung der Revision erreichen.

II.

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Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Schlüssigkeit des Klägervorbringens unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG in mehrfacher Hinsicht überspannt und aus diesem Grund erhebliche Beweisangebote unberücksichtigt gelassen.

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1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (BGH, Beschluss vom 23. März 2021 – II ZR 5/20, juris Rn. 8 mwN).

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Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 7 mwN).

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2. Danach verstößt die angefochtene Entscheidung gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

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a) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Gesellschaft im Rechtsstreit um Schadensersatzansprüche gegen ihren Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG die Darlegungs- und Beweislast nur dafür trägt, dass und inwieweit ihr durch ein Verhalten des Geschäftsführers in dessen Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist. Hingegen hat der Geschäftsführer darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG nachgekommen ist, ihn kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre (BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 283; Beschluss vom 26. November 2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117 Rn. 4).

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b) Die Annahme des Berufungsgerichts, es obliege der Klägerin konkret darzulegen, ob und auf welche Art der Beklagte an der Mitarbeiterversammlung bei der Klägerin am 12. Juli 2017 beteiligt war oder er von dieser Kenntnis hatte, überspannt die Anforderungen an das danach gebotene Parteivorbringen der Klägerin. Diese hat unter Beweisantritt behauptet, es habe am 12. Juli 2017 eine Mitarbeiterversammlung in den ehemaligen Geschäftsräumen der Klägerin gegeben, bei der den Mitarbeitern der Klägerin ganztägig die Planung der Verantwortlichen, insbesondere der des Beklagten und der Geschäftsführer der beiden Gesellschaften O. GmbH und S. GmbH dargestellt worden sei. Den Mitarbeitern sei in Einzelgesprächen die Kündigung und der Abschluss identischer Neuverträge mit gleichen Konditionen bei Konkurrenzunternehmen nahegelegt worden. Diese Gespräche seien in den Räumlichkeiten der Beklagten (richtig: Klägerin) geführt worden und der Beklagte sei hierüber informiert gewesen. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts hat die Klägerin auf dieses Vorbringen nochmals Bezug genommen und behauptet, der Beklagte habe diese auch mitinitiiert. Es sei die Verpflichtung des Beklagten gewesen, solche Veranstaltungen zu unterbinden und Schaden von der Klägerin abzuwenden. Dieses Vorbringen ist auch unter Berücksichtigung der Erwiderung des Beklagten im Schriftsatz vom 1. Juni 2018 hinreichend substantiiert. Der Beklagte war zum Zeitpunkt der behaupteten Mitarbeiterversammlung alleiniger Geschäftsführer der Klägerin. Es ist vom Berufungsgericht nicht weiter erläutert und auch nicht ersichtlich, anhand welcher der Klägerin vorliegenden Informationen diese näher zu den Umständen der von ihr behaupteten Mitarbeiterversammlung und Einzelgespräche vortragen können soll. Es handelt sich vielmehr um Umstände aus dem Einflussbereich des Geschäftsführers, hinsichtlich derer die von ihm verwaltete Korporation typischerweise in Beweisnot ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 283). Entsprechend kann die Klägerin ihre Behauptungen auch auf lediglich vermutete Tatsachen stützen. Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich “aufs Geratewohl” oder “ins Blaue hinein” aufgestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 8 mwN). Dies ist hier nicht der Fall. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Großteil der Belegschaft in einem engen zeitlichen Zusammenhang gekündigt hat und anschließend für eines der Konkurrenzunternehmen tätig wurde. Die Annahme eines koordinierten Vorgehens erscheint dabei keineswegs fernliegend, zumal die Klägerin auch ein Näheverhältnis zwischen dem Beklagten und den Geschäftsführern der Konkurrenzunternehmen behauptet hat und, wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang festgestellt hat, auch am Übergang von Kunden auf diese Konkurrenzunternehmen mitgewirkt hat. Ausgehend von der konkret aufgestellten Behauptung einer ganztägigen Mitarbeiterversammlung am 12. Juli 2017 in den Geschäftsräumen der Klägerin erscheint auch die Vermutung naheliegend, dass der Beklagte von einer solchen zumindest Kenntnis hatte.

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c) Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast für die Möglichkeit einer Pflichtverletzung des Beklagten auch dadurch, dass es das Vorbringen der Klägerin zum Wechsel von Kunden zu Konkurrenzunternehmen nicht für hinreichend substantiiert gehalten hat. Die Klägerin hat unter Vorlage von Schrift- und E-Mailverkehr mit der Kundin S. AG behauptet, der Beklagte habe an der Überleitung von Vertragsverhältnissen an Konkurrenzunternehmen aktiv mitgewirkt. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag zwar zur Kenntnis genommen, aber für unzureichend gehalten, weil der Beklagte dieses Vorgehen damit erläutert habe, dass er diesen Kunden gegenüber mangels ausreichender Mitarbeiter nicht mehr lieferfähig gewesen sei und zur Abwendung von Schadensersatzansprüchen im Interesse der Klägerin gehandelt habe. Dabei hat es wiederum konkreten Vortrag zu einem vorwerfbaren Verhalten des Beklagten vermisst. Diese Ausführungen berücksichtigen, wie zum Weggang der Mitarbeiter der Klägerin bereits ausgeführt, nicht hinreichend, dass der Klägerin weitergehender Vortrag nicht abverlangt werden kann. Zudem berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, dass allein die von ihm festgestellte Mitwirkung des Beklagten am Übergang wesentlicher Kundenbeziehungen auf Konkurrenzunternehmen einen durch das Handeln des Beklagten entstandenen Schaden der Klägerin nahelegt. Ob, wie es das Berufungsgericht angenommen hat, für die Klägerin unter den gegebenen Umständen keine Möglichkeit bestand, die Verträge selbst weiter zu erfüllen, und deren nahtlose Fortsetzung durch Konkurrenzunternehmen im Ergebnis größeren Schaden für die Klägerin abwenden konnte, betrifft die Frage, ob der Beklagte tatsächlich pflichtgemäß gehandelt hat. Soweit das Berufungsgericht unter Hinweis auf das Verteidigungsvorbringen des Beklagten bereits die Möglichkeit einer Pflichtverletzung verneint, stellt es überzogene Anforderungen an das der Gesellschaft obliegende Vorbringen.

III.

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Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegenüber der Gesellschaft gemäß § 666 BGB i.V.m. §§ 675, 611 BGB zur Auskunftserteilung verpflichtet ist (OLG Düsseldorf, GmbHR 2000, 1050, 1056; OLG Hamm, NZG 2001, 73, 74; KG, Urteil vom 16. Mai 2011 – 19 U 116/10, juris Rn. 19; Goette, DStR 1992, 1752, 1753; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., Anh. § 6 Rn. 18; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., § 51a Rn. 62; Trölitzsch in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl., § 12 Rn. 33; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl., § 43 Rn. 107; Bunz, NZG 2020, 1052, 1053, 1055). Diese Verpflichtung besteht auch nach der Abberufung des Geschäftsführers und Beendigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags fort (Trölitzsch in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl., § 12 Rn. 33).

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Die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht nach § 666 BGB setzt nicht voraus, dass der Geschäftsherr die begehrte Information zur Vorbereitung weiterer Ansprüche benötigt. Vielmehr genügt sein allgemeines Interesse, die Tätigkeit des Geschäftsbesorgers zu kontrollieren (BGH, Urteil vom 9. November 2017 – III ZR 610/16, ZIP 2017, 2476 Rn. 21 mwN). Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass die Verpflichtung ohne Einschränkungen besteht. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Auskunftsanspruch nach § 666 BGB lediglich eine aus dem Auftragsverhältnis folgende unselbständige Nebenpflicht darstellt. Hieraus ergibt sich, dass der Anspruch grundsätzlich von dem Auftrag beziehungsweise Geschäftsbesorgungsvertrag abhängig ist, dessen Absicherung er dient. Inhalt und Grenzen der Auskunftspflicht müssen sich stets auf das konkrete Rechtsverhältnis beziehen und haben sich auf dieser Grundlage nach Treu und Glauben am Maßstab der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit zu orientieren (BGH, Urteil vom 9. November 2017 – III ZR 610/16, ZIP 2017, 2476 Rn. 23).

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Danach besteht auch die (nachvertragliche) Auskunftspflicht des Geschäftsführers nicht uneingeschränkt. Diese hängt vielmehr maßgeblich vom Informationsbedürfnis der Gesellschaft ab, bei einem vorbereitenden Auskunftsanspruch namentlich vom Aufklärungsbedürfnis zur Geltendmachung eventueller Hauptansprüche (OLG Hamm, NZG 2001, 73, 74). Im Haftungsprozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer trägt dieser zwar die Darlegungsund Beweislast für sein pflichtgemäßes Verhalten. Ein Auskunftsinteresse ergibt sich aber ungeachtet dessen aus dem begründeten Verdacht einer Pflichtverletzung und der Wahrscheinlichkeit eines daraus resultierenden Schadens (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2008 – II ZR 277/06, juris Rn. 7; Urteil vom 1. August 2013 – VII ZR 268/11, NJW 2014, 155 Rn. 20). Die Auskunftspflicht des Geschäftsführers wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass der Geschäftsführer mit der verlangten Auskunft eine Pflichtverletzung offenbaren würde (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1964 – VII ZR 156/62, BGHZ 41, 318, 322 ff.; MünchKommBGB/Schäfer, 8. Aufl., § 666 Rn. 17).


Quelle: BGH, Beschluss vom 22.06.2021 – II ZR 140/20