• Adresse: Seilfahrt 101, D-44809 Bochum
  • Telefon: +49-234 588 2355
  • eMail: info(at)goormann-varga.eu

Blog

Die Wahl der Arbeitnehmermitglieder im Aufsichtsrat

Der Betriebswahlvorstand verstößt dadurch gegen wesentliche Wahlvorschriften, dass er die Auszählung der Stimmen und die Prüfung der Gültigkeit der Stimmzettel der Wahl der Arbeitnehmer zum Aufsichtsrat entgegen § 41 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 der 3. WO MitbestG zeitweise in Abwesenheit eines Mitglieds durchführt, ohne dass dieses an der Teilnahme verhindert ist.

Nach § 41 Abs. 1 der 3. WO MitbestG zählt der Betriebswahlvorstand unverzüglich nach Abschluss der Stimmabgabe öffentlich die Stimmen aus. Bei der Auszählung ist nach § 41 Abs. 3 Satz 1 der 3. WO MitbestG die Gültigkeit der Stimmzettel zu prüfen. Hierbei handelt es sich um wesentliche Wahlvorschriften, die zwingend festlegen, dass der Betriebswahlvorstand in seiner Gesamtheit die Stimmen auszählt und dabei die Gültigkeit der Stimmzettel prüft. Das ergibt die Auslegung der Vorschriften.

Schon nach dem Wortlaut der Bestimmungen erfolgt die Stimmauszählung und Gültigkeitsprüfung durch den Betriebswahlvorstand als Gremium und nicht nur durch dessen Vorsitzenden oder einzelne seiner Mitglieder.

Der Gesamtzusammenhang der Regelung bestätigt dieses Verständnis. § 41 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 der 3. WO MitbestG weisen die Stimmauszählung und die Prüfung der Gültigkeit der Stimmzettel dem Betriebswahlvorstand zu, während § 17 Abs. 2 der 3. WO MitbestG, der gemäß § 40 Abs. 4 Satz 2 der 3. WO MitbestG bei der vorliegenden Wahl entsprechend anzuwenden ist, für die Stimmabgabe vorsieht, dass mindestens zwei Mitglieder des Betriebswahlvorstands im Wahlraum anwesend sein müssen; sind Wahlhelferinnen und Wahlhelfer bestellt, so genügt die Anwesenheit eines Mitglieds des Betriebswahlvorstands und einer Wahlhelferin oder eines Wahlhelfers. Daraus ergibt sich, dass der Betriebswahlvorstand nach dem Willen des Verordnungsgebers an der Auszählung der Stimmen und der Prüfung der Gültigkeit des Stimmzettel – anders als bei der Stimmabgabe – in seiner Gesamtheit teilzunehmen hat.

Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Die Auszählung der Stimmen und die Prüfung der Stimmzettel auf ihre Gültigkeit sind für die Ordnungsgemäßheit der Wahl von zentraler Bedeutung und sollen daher einer möglichst breiten Kontrolle unterliegen. Diese wird nicht nur durch die Öffentlichkeit der Stimmauszählung, sondern auch durch die Anwesenheit des gesamten Betriebswahlvorstands gewährleistet.

Insoweit lässt das Bundesarbeitsgericht auch nicht den Einwand gelte, dem Zweck, Manipulationen zu verhindern, werde schon bei der Anwesenheit von mehreren Wahlvorstandsmitgliedern hinreichend Rechnung getragen; die Anwesenheit aller Wahlvorstandsmitglieder sei dazu nicht erforderlich. Eine solche Einschränkung sieht das Gesetz nicht vor. Aus der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 16.11.1987 zur Überwachung des Auszählvorgangs mittels EDV-Anlage ergibt sich nichts Gegenteiliges.

Die Stimmauszählung und Gültigkeitsprüfung durch einen nicht vollzähligen Betriebswahlvorstand ist nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn das abwesende Mitglied des Betriebswahlvorstands verhindert und kein Ersatzmitglied bestellt ist. Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 3 der 3. WO MitbestG. Nach dieser Vorschrift kann für jedes Mitglied des Betriebswahlvorstands für den Fall der Verhinderung ein Ersatzmitglied bestellt werden. Die Bestellung von Ersatzmitgliedern ist danach möglich, aber nicht zwingend vorgeschrieben. Daher ist davon auszugehen, dass der Betriebswahlvorstand auch ohne sein verhindertes Mitglied handlungsfähig ist, wenn kein Ersatzmitglied bestellt ist. Andernfalls hätte der Verordnungsgeber die Bestellung von Ersatzmitgliedern zwingend ausgestaltet, um eine mögliche Handlungsunfähigkeit des Betriebswahlvorstands auszuschließen.

Danach durfte der Betriebswahlvorstand im hier entschiedenen Fall die Stimmauszählung und Gültigkeitsprüfung nicht zeitweise in Abwesenheit seines Mitglieds F durchführen. Eine Verhinderung der Frau F war nicht gegeben:

Eine Verhinderung liegt vor, wenn sich das Betriebswahlvorstandsmitglied aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage sieht, sein Amt auszuüben, etwa wegen Urlaubs, Dienstreise oder Krankheit.

Frau F war nicht verhindert, an der gesamten Stimmauszählung teilzunehmen. Sie sollte zwar in ihrer Funktion als Mitglied des Hauptwahlvorstands die Wahlergebnisse aus U, He und G entgegennehmen. Dies hätte aber nach Abschluss der Stimmauszählung und Gültigkeitsprüfung erfolgen können.

Eine Berichtigung des Verstoßes gegen § 41 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 der 3. WO MitbestG durch Neuauszählung aller Stimmen durch den Betriebswahlvorstand ist nicht erfolgt. Der Betriebswahlvorstand hat den Antrag auf Neuauszählung der Stimmen abgelehnt.

Das Landesarbeitsgericht Köln hat zu Recht angenommen, dass der Verstoß gegen § 41 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 der 3. WO MitbestG das Wahlergebnis beeinflussen konnte:

Nach § 22 Abs. 1 MitbestG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dabei ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre.

Danach war der Verstoß gegen § 41 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 der 3. WO MitbestG geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis bei einer durchgehenden Teilnahme von Frau F an der Stimmauszählung anders ausgefallen wäre. Vielmehr ist denkbar, dass in diesem Fall etwaige Fehler bei der Zuordnung von Stimmen vermieden und Entscheidungen über die Gültigkeit von Stimmzetteln anders getroffen worden wären. Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, dass Fehler bei der Zuordnung der Stimmen oder Entscheidungen über die Gültigkeit von Stimmzetteln aufgrund der Anwesenheit von drei Mitgliedern des Betriebswahlvorstands und 50 Wahlhelfern sowie aufgrund der Öffentlichkeit der Stimmauszählung faktisch ausgeschlossen gewesen seien.

Die Anwesenheit von drei Mitgliedern des Betriebswahlvorstands schließt Fehler bei der Stimmenzuordnung nicht aus. Es ist auch denkbar, dass Entscheidungen über die Gültigkeit von Stimmzetteln, die der Betriebswahlvorstand nach § 7 Abs. 3 Satz 1 3. WO MitbestG durch Beschluss mit der Mehrheit seiner Stimmen trifft, anders ausgefallen wären, wenn Frau F an der Entscheidungsfindung teilgenommen hätte.

Entsprechendes gilt für die Heranziehung von Wahlhelfern. Der Betriebswahlvorstand kann nach § 7 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 der 3. WO MitbestG Wahlberechtigte des Betriebs als Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu seiner Unterstützung heranziehen. Wahlhelfer üben Hilfsfunktionen aus, etwa bei der Stimmabgabe und Stimmauszählung. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl bleibt jedoch beim Betriebswahlvorstand; er hat die Tätigkeit der Wahlhelfer zu überwachen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Frau F fehlerhafte Stimmenzuordnungen festgestellt hätte, wenn sie an der Stimmauszählung durchgehend teilgenommen und die Tätigkeit der Wahlhelfer überwacht hätte. Auf die Entscheidungen über die Gültigkeit von Stimmzetteln kann sich der Einsatz von Wahlhelfern schon deshalb nicht ausgewirkt haben, weil Wahlhelfer daran nicht mitwirken. Allein die Mitglieder des Wahlvorstands sind legitimiert, von hierbei bestehenden Beurteilungsspielräumen Gebrauch zu machen.

Auch der Umstand, dass die Auszählung öffentlich zu erfolgen hatte, schließt etwaige Fehler bei der Stimmenzuordnung und der Beurteilung der Gültigkeit der Stimmen nicht aus. Die „Öffentlichkeit“ der Stimmauszählung nach § 79 Abs. 1 der 3. WO MitbestG umfasst zwar den gesamten Vorgang der Ermittlung des Wahlergebnisses. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Anwesenden dem Wahlvorstand „über die Schulter blicken“ können. Das Gebot, die Auszählung in öffentlicher Sitzung vorzunehmen, soll gewährleisten, dass selbst der Anschein von Manipulationen vermieden wird. Die Beobachtungsmöglichkeit dient der Kontrolle des Auszählvorgangs durch die Öffentlichkeit, ohne damit eine vollständige Rechtmäßigkeitskontrolle zu bezwecken. Die Beratung und Beschlussfassung des Wahlvorstands bei der öffentlichen Stimmauszählung muss daher nicht in dem Sinne öffentlich sein, dass die Anwesenden die Entscheidung in jedem Fall zur Kenntnis nehmen können. Ein „Mitlesenkönnen“ ist nicht erforderlich.

Die Wahlanfechtung

Nach § 22 Abs. 2 Satz 2 MitbestG ist die Anfechtung nur binnen einer Frist von zwei Wochen; vom Tage der Veröffentlichung des Wahlergebnisses im Bundesanzeiger an gerechnet, zulässig. Zur Wahrung der zweiwöchigen Anfechtungsfrist kommt es nicht darauf an, ob der Wahlanfechtungsantrag den übrigen Verfahrensbeteiligten innerhalb der Anfechtungsfrist oder „demnächst“ iSv. § 167 ZPO zugestellt wurde. Maßgeblich ist vielmehr der Eingang des Wahlanfechtungsantrags beim Arbeitsgericht. Innerhalb der Frist, die nach § 187 Abs. 1 BGB mit dem auf die Veröffentlichung des Wahlergebnisses im Bundesanzeiger folgenden Tag beginnt, muss mindestens ein nach § 22 Abs. 1 MitbestG erheblicher Anfechtungsgrund geltend gemacht werden. Der Grund muss geeignet sein, Zweifel an der nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften zu beurteilenden Ordnungsmäßigkeit der durchgeführten Wahl zu begründen.

Nach § 22 Abs. 1 MitbestG kann die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.


Quelle: BAG, Beschluss vom 24. Februar 2021 – 7 ABR 38/19