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Die Aufsichtspflichten des Aufsichtsrats

Der Schadensersatzanspruch einer Aktiengesellschaft gegen ihren Aufsichtsrat scheidet nicht deshalb aus, weil das Aufsichtsratsmitglied sich zur Vermeidung der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung hätte selbst bezichtigen müssen (so aber OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.04.2017 – I-17 U 29/16)).

Im Rahmen seiner nachträglichen Überwachungstätigkeit ist der Aufsichtsrat grundsätzlich verpflichtet, Schadensersatzansprüche gegen ein Vorstandsmitglied zu verfolgen, ohne dass ihm dabei ein unternehmerisches Ermessen zusteht. Er ist vielmehr allein dem Unternehmenswohl verpflichtet, das grundsätzlich die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens verlangt, und darf daher ausnahmsweise nur dann von der Geltendmachung voraussichtlich begründeter Schadensersatzansprüche absehen, wenn gewichtige Interessen der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen. Andere Gesichtspunkte, wie etwa die Schonung eines verdienten Aufsichtsratsmitglieds oder das Ausmaß der mit der Beitreibung für das Mitglied und seine Familie verbundenen sozialen Konsequenzen, können nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen.

Ausgehend davon vermag das rein persönliche Interesse des Aufsichtsratsmitglieds, sich durch die Verfolgung der Ersatzansprüche gegen den Vorstand nicht mittelbar zugleich seiner eigenen damit zusammenhängenden Pflichtverletzungen durch Entgegennahme der streitgegenständlichen Zahlungen sowohl als Aktionär gemäß § 57 Abs. 1§ 62 Abs. 1 AktG als auch als Aufsichtsrat gemäß § 116 Satz 1§ 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG bezichtigen und einem Schadensersatz bzw. Rückzahlungsanspruch aussetzen zu müssen, keine Ausnahme von seiner Pflicht zur Anspruchsverfolgung zu begründen.

Allerdings wird Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt, ob und wenn ja, in welchen Fällen das Verbot einer Pflicht zur Selbstbezichtigung einer Auskunfts- oder Handlungspflicht eines Gesellschaftsorgans entgegenstehen kann.

In der Literatur wird verbreitet im Zusammenhang mit der Frage, ob das Verschweigen eigener Pflichtverletzungen eine neue Pflichtverletzung des Vorstands im Sinne von § 93 AktG begründen kann, argumentiert, dass allgemein keine Pflicht des Vorstands, Verwaltungsoder Organmitglieds zur Selbstanzeige bzw. Selbstbezichtigung bestehe. Auch die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat sich z.B. gegen eine Pflicht des GmbHAlleingeschäftsführers und gesellschafters zur Verfolgung von Gesellschaftsansprüchen gegen sich selbst oder eine Pflicht des GmbH-Geschäftsführers, bei Abschluss eines Abfindungsvertrages strafrechtliche Verfehlungen zu offenbaren, die mit dem Vertragsschluss in keinem unmittelbaren Zusammenhang standen, ausgesprochen.

Nach anderer Auffassung in der Literatur ist das aus dem Strafrecht bekannte Verbot der Selbstbezichtigung im Zivilrecht und im Aufsichtsrecht nicht anerkannt, weswegen auch für Vorstandsmitglieder eine Pflicht zur Aufdeckung eigener Fehler bestehe; ob das Strafrecht dann mit Verwertungsverboten reagiere, sei keine Frage des Zivilrechts. Auch in der Rechtsprechung wurde dementsprechend etwa die prozessuale Vortragspflicht eines Geschäftsführers bei Inanspruchnahme wegen der Entgegennahme von Schmiergeldern bejaht.

Die Frage, ob das Verbot einer Pflicht zur Selbstbezichtigung der Annahme einer gesellschaftsrechtlichen Auskunftsoder Handlungspflicht eines Gesellschaftsorgans entgegensteht, lässt sich nicht generell beantworten, sondern hängt von der jeweiligen Pflicht und den Umständen des Einzelfalls ab.

Das aus Art. 2 Abs. 1Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Verbot der Selbstbezichtigung gilt nicht uneingeschränkt, sondern findet seine Grenze an den Rechten anderer. Art und Umfang dieses Verbots hängen daher auch davon ab, ob und inwieweit andere auf die Information der Auskunftsperson angewiesen sind und ob insbesondere die Auskunft Teil eines durch eigenen Willensentschluss übernommenen Pflichtenkreises ist. Handelt es sich um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Er kann dabei berücksichtigen, dass es im Privatrechtsverkehr nicht allein um ein staatliches oder öffentliches Informationsbedürfnis, sondern zugleich um die Interessen eines Geschädigten geht. Bei dieser Abwägung ist u.a. zu bedenken, ob die Zubilligung eines Auskunftsverweigerungsrechts u.U. zu Lasten geschädigter Dritter gerade denjenigen ungerechtfertigt bevorzugen würde, der zum Nachteil der Gläubiger besonders rechtswidrig oder gar verwerflich gehandelt hat.

Danach hat jedenfalls im vorliegenden Fall das persönliche Interesse des Aufsichtsratsmitglieds, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, hinter seiner Pflicht, als Aufsichtsrat im Interesse der Gesellschaft Ansprüche gegen den Vorstand zu verfolgen, zurückzustehen.

Der Aufsichtsrat steht in einem besonderen Pflichtenverhältnis zur Aktiengesellschaft. In dieser Funktion hat er insbesondere die Aufgabe übernommen, die gesamte Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen und im Rahmen dieser nachträglichen Überwachungstätigkeit ggf. auch Ersatzansprüche gegen den Vorstand im Unternehmenswohl zu verfolgen. Die besondere Bedeutung dieser Aufgabe zeigt sich daran, dass die Gesellschaft nach § 112 AktG gerichtlich und außergerichtlich gegenüber Vorstandsmitgliedern deshalb durch den Aufsichtsrat vertreten wird, weil damit eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft sichergestellt werden soll, die von sachfremden Erwägungen unbeeinflusst ist und sachdienliche Gesellschaftsbelange wahrt.

Diese besondere Überwachungs- und Schutzfunktion des Aufsichtsrats würde unterlaufen, würde man den Aufsichtsrat von ihrer Erfüllung bereits dann generell freistellen, wenn er dadurch eine eigene Pflichtverletzung oder ein ersatzverpflichtendes Verhalten offenbaren müsste. Nicht selten dürfte bei einem Pflichtenverstoß eines Vorstands auch eine diesbezügliche Pflichtverletzung des Aufsichtsrats durch unzureichende Überwachung des Vorstands in Betracht kommen. Zudem bestünden nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten für die Beteiligten dahingehend, ob im Einzelfall eine Anspruchsverfolgungspflicht des Aufsichtsrats gegeben ist oder nicht. Schließlich würde die Freistellung von einer Verfolgungspflicht gerade denjenigen ungerechtfertigt entlasten, der zuvor zum Nachteil der Gesellschaft seine Pflichten verletzt hat, wohingegen er durch diese Verfolgungspflicht gerade dazu angehalten würde, wieder für einen Ausgleich des der Gesellschaft dadurch verursachten Schadens zu sorgen.

Hinzu kommt, dass die in Rede stehende Pflichtverletzung bzw. Haftung des Vorstands und des Aufsichtsratsmitglieds mit § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG einen Verstoß gegen kapitalschützende Pflichten und damit nicht nur eine Verletzung der Interessen der Aktiengesellschaft, sondern insbesondere auch der Gesellschaftsgläubiger darstellte. Würde man dem Aufsichtsratsmitglied in dieser Konstellation eine Befreiung von seiner Pflicht zur Anspruchsverfolgung zubilligen, würde man gerade denjenigen unberechtigt bevorzugen, der zum Nachteil der Gläubiger besonders rechtswidrig, weil unter Verstoß gegen eine von ihm übernommenen besonderen Überwachungspflicht und zudem zu seinem eigenen Vorteil, gehandelt hat.

Ob diese Pflicht zur Anspruchsverfolgung gegen den Vorstand dort ihre Grenzen findet, wo sie eine Offenbarung eigenen strafbaren Verhaltens bedeuten würde, erscheint im Hinblick auf die besondere Funktion des Aufsichtsrats fraglich, zumal seinen Interessen in einem solchen Fall ggf. auch durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot hinreichend Rechnung getragen werden könnte. Dies bedurfte im vorliegenden Fall aber keiner Entscheidung, da kein strafrechtlich relevantes Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds in Rede stand.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. September 2018 – II ZR 152/17

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