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Betriebsbedingte Kündigung – und die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit

Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes muss der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, dessen bisheriger Arbeitsplatz weggefallen ist, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 b, S. 3 KSchG – ggf. im Wege der Änderungskündigung – auch dann anbieten, wenn sein unternehmerisches Konzept dahin geht, den zeitlich ungewissen Beschäftigungsbedarf mit einem Arbeitnehmer abzudecken, der wirksam befristet (weiter)beschäftigt werden kann.

Die Möglichkeit, mit einem Stellenbewerber wirksam eine Befristung zu vereinbaren, stellt kein beachtliches, tätigkeitsbezogenes Anforderungsprofil dar.

Eine Kündigung ist nur dann iSd. § 1 Abs. 2 KSchG durch „dringende“ betriebliche Erfordernisse „bedingt“, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, dem bei Ausspruch der Kündigung absehbaren Wegfall des bisherigen Beschäftigungsbedarfs durch andere Maßnahmen – technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art – als durch eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu entsprechen. Die Merkmale der „Dringlichkeit“ und des „Bedingtseins“ der Kündigung sind Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Er gebietet dem Arbeitgeber, vor einer Beendigungskündigung dem Arbeitnehmer von sich aus eine mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, ggf. zu geänderten (gleichwertigen oder schlechteren) Bedingungen, anzubieten. Entsprechendes gilt, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist. Diese in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG konkretisierte Kündigungsschranke gilt unabhängig davon, ob in dem Betrieb ein Betriebsrat besteht und dieser der Kündigung widersprochen hat.

Als „frei” sind grundsätzlich nur solche Arbeitsplätze anzusehen, die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Dem steht es gleich, wenn ein Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei wird. Die Einbeziehung in der Vergangenheit liegender Umstände ist dann geboten, wenn der Arbeitgeber durch zweckvolle Festlegung des Kündigungszeitpunkts anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten, die noch kurze Zeit vorher auf der Hand lagen, durch eigenes Handeln ausschließt und dadurch den Kündigungsgrund selbst herbeiführt. Es ist dem Arbeitgeber nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Kündigungszeitpunkt zu berufen, wenn dieser Wegfall treuwidrig herbeigeführt wurde. Ein treuwidriges, weil rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt einer Stellenbesetzung das Auslaufen der Beschäftigungsmöglichkeiten für den später gekündigten Arbeitnehmer bereits absehbar war.

Erfüllt der Arbeitnehmer das Anforderungsprofil der fraglichen Stelle, bedarf es grundsätzlich keiner weiter gehenden Prüfung, ob ihm die Tätigkeit zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn die Zuweisung eine Vertragsänderung erforderlich machen würde. Auch eine dann notwendige Änderungskündigung darf nur in „Extremfällen“ unterbleiben. Wenn dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit auf dem freien Arbeitsplatz nicht objektiv schlechthin unzumutbar ist, soll grundsätzlich er selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung unter veränderten, möglicherweise erheblich schlechteren Arbeitsbedingungen akzeptiert oder nicht. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine ihm bekannte Beschäftigungsmöglichkeit aber nicht zeitnah, spricht vieles dafür, dass auch er selbst darin keine zumutbare Beschäftigungsperspektive sieht und der Arbeitgeber ein entsprechendes Änderungsangebot nicht unterbreiten musste. Es spricht dann viel für die Annahme, dass der Arbeitnehmer das betreffende Angebot auch mit Blick auf eine drohende Beendigungskündigung nicht angenommen hätte.

Darlegungs- und beweisbelastet für das Fehlen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine andere Möglichkeit der Weiterbeschäftigung, muss der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine Umsetzung nicht in Betracht kam.

Die Arbeitgeberin kann sich nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB nicht darauf berufen, dass eine bestehende Beschäftigungsmöglichkeit infolge der Besetzung der Stelle mit einer anderen Mitarbeiterin weggefallen sei. Unbefristet angestellte Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz entfällt, haben bei der Besetzung freier Stellen – auch wenn ihnen diese nur im Wege einer Änderungskündigung übertragen werden können – Vorrang nicht nur vor externen Bewerbern, sondern auch vor solchen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis zeitgleich durch Befristung endet.

Vorliegend hatte die Arbeitgberin zwar das zunächst bis zum 31.12 2012 befristete Arbeitsverhältnis mit der anderen Mitarbeiterin zum Zwecke ihres Einsatzes auf der Stelle im Bereich „Social Media“ bereits vor Erklärung der hier im Streit befindlichen Kündigung bis Ende des Jahres 2013 verlängert. Dass die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit der Arbeitnehmerin zum 31.12 2012 auslaufen würde, war der Arbeitgeberin zu diesem Zeitpunkt aber bereits bekannt. Sie hatte die Entscheidung, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes der Arbeitnehmerin führen würde, nach ihrem eigenen Vorbringen schon im November 2012 getroffen. Durch die Besetzung der Stelle im Bereich „Social Media“ mit der ursprünglich bis zum 31.12 2012 befristet beschäftigten Mitarbeiterin hat die Arbeitgberin den Ausschluss der Möglichkeit, die Arbeitnehmerin dort weiter zu beschäftigen, selbst herbeigeführt, obwohl der Verlust von deren Stelle bereits absehbar war.

Ein Angebot zur Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin auf der Stelle im Bereich „Social Media“ war nicht deshalb entbehrlich, weil nicht sicher war, ob es die Beschäftigungsmöglichkeit auch über den 31.12 2013 hinaus gäbe.

Die Beschäftigungsmöglichkeit bestand in jedem Fall elf Monate über den Ablauf der Kündigungsfrist am 31.01.2013 hinaus. Dies ist keine so kurze Zeit, dass der Arbeitgeberin angesichts der bisherigen Feststellungen eine Einarbeitung der Arbeitnehmerin nicht zumutbar gewesen wäre.

Die Arbeitnehmerin hat behauptet, sie habe höchstens zwei Monate lang angelernt werden müssen. Eine solche Zeitspanne war der Arbeitgeberin mit Blick auf eine bisherige Beschäftigungsdauer von vier Jahren zumutbar. Zwar kann bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Einarbeitungszeit neben der bisherigen Betriebszugehörigkeit auch die zu erwartende zukünftige Dauer des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen sein. Auch bei einem ggf. nur noch elf Monate fortbestehenden Beschäftigungsbedarf war jedoch eine Einarbeitungszeit von bis zu zwei Monaten nicht unverhältnismäßig. Für die Arbeitnehmerin bestand nach der von der Arbeitgeberin behaupteten Umorganisation schon ab 1.01.2013 auf der bisherigen Stelle kein Beschäftigungsbedarf mehr. Sie hätte damit bereits ab diesem Zeitpunkt im Bereich „Social Media“ eingearbeitet und anschließend mindestens zehn Monate auf der Stelle eingesetzt werden können.

Das von der Arbeitgeberin geltend gemachte Interesse, die Stelle im Wege zulässiger Zeitbefristung bzw. deren Verlängerung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ohne die mit einer Kündigung verbundenen Risiken besetzen zu können, ist im Verhältnis zur Arbeitnehmerin nicht schutzwürdig. Der Umstand, dass ungewiss ist, ob die Möglichkeit einer Beschäftigung auf einer freien anderen Stelle über einen bestimmten Zeitraum hinaus bestehen wird, ändert nichts daran, dass diese Stelle einem nach § 1 KSchG geschützten und fachlich geeigneten Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeboten werden muss.

Ist schon im Kündigungszeitpunkt absehbar, dass der Beschäftigungsbedarf auf der freien Stelle nur für einen begrenzten Zeitraum besteht, kommt eine Änderungskündigung mit dem Angebot einer nur befristeten Weiterbeschäftigung des vom Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes betroffenen, nach § 1 KSchG geschützten Arbeitnehmers in Betracht. Die nachträgliche Befristung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses im Wege einer – ohnehin erforderlichen – Änderungskündigung ist durch § 2 KSchG nicht ausgeschlossen. Deren soziale Rechtfertigung setzt – unter diesem Aspekt – voraus, dass sich die Befristung – gemessen am Maßstab des § 14 Abs. 1 TzBfG – ihrerseits als wirksam erweist.

Liegt im Kündigungszeitpunkt – wie von der Arbeitgeberin geltend gemacht – ein Sachgrund iSd. § 14 Abs. 1 TzBfG für eine nur befristete Weiterbeschäftigung nicht vor, scheidet eine Änderungskündigung mit dem Ziel einer nur befristeten Weiterbeschäftigung zwar aus: Eine sachgrundlose Befristung wäre wegen der Zuvorbeschäftigung des Arbeitnehmers gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ebenso unzulässig. Das führt aber nicht zur Wirksamkeit der Beendigungskündigung. Das unternehmerische Konzept, einen zeitlich ungewissen Beschäftigungsbedarf mit einem Arbeitnehmer abzudecken, der wirksam befristet (weiter)beschäftigt werden kann, ist gegenüber dem nach § 1 KSchG geschützten Arbeitnehmer unbeachtlich. Die Möglichkeit, mit dem Stellenbewerber wirksam eine Befristung zu vereinbaren, stellt kein beachtliches, tätigkeitsbezogenes Anforderungsprofil dar. In der Sache zielt ein solches unternehmerisches Konzept vielmehr auf eine – unzulässige – Austauschkündigung. Der Arbeitgeber ist im Verhältnis zu einem nach § 1 KSchG geschützten Arbeitnehmer nicht frei darin, den anderen Arbeitsplatz nur befristet zu besetzen. Zwar ist er nicht verpflichtet, zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Besteht jedoch Beschäftigungsbedarf, ist dieser – unbeschadet eines möglichen Wegfalls in der Zukunft – bei der Prüfung alternativer Einsatzmöglichkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG zu berücksichtigen. Dadurch wird die unternehmerische Freiheit, einen Arbeitsplatz nur vorübergehend einzurichten, nicht berührt. Die kündigungsrechtlich gebotene Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers, dessen bisheriger Arbeitsplatz weggefallen ist, auf einem nur befristet eingerichteten Alternativarbeitsplatz bedeutet nicht, dass die betreffende Stelle über die geplante Zeit hinaus aufrechterhalten werden müsste. Fällt sie weg und ist eine andere Beschäftigung nicht mehr möglich, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des zunächst weiterbeschäftigten Arbeitnehmers nunmehr – ggf. nach korrekter Sozialauswahl – betriebsbedingt kündigen. Der Einwand, die Unsicherheit über den Ausgang eines dann zu führenden Kündigungsschutzprozesses sei dem Arbeitgeber nicht zumutbar, ist nicht berechtigt. Das Risiko der Unwirksamkeit ist mit jeder Kündigung eines nach § 1 KSchG geschützten Arbeitsverhältnisses verbunden und ist bei einem tatsächlichen Wegfall von Beschäftigungsbedarf nicht gegeben.

Dem Erfordernis einer Änderungskündigung steht nicht entgegen, dass die Arbeitnehmerin in Teilzeit beschäftigt war, während die Position im Bereich „Social Media“ mit einer Vollzeitkraft besetzt werden sollte. Die Arbeitgberin hat sich – soweit ersichtlich – nicht darauf berufen, eine Teilung der Stelle und ihre Besetzung zu zeitlich 75 vH mit der Arbeitnehmerin sei nicht möglich gewesen. Überdies hätte sie in diesem Fall der Arbeitnehmerin die Position im Bereich „Social Media“ in Vollzeit anbieten müssen. Darin läge nicht etwa das Angebot eines höherwertigen Arbeitsplatzes, auf das die Arbeitnehmerin keinen Anspruch hätte, weil dies einer Beförderung gleichkäme. Mit der Erhöhung der Arbeitszeit ist keine Beförderung verbunden.

Ein Angebot zur Weiterbeschäftigung auf der Stelle im Bereich „Social Media“ war entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht deshalb entbehrlich, weil sie nicht damit zu rechnen brauchte, dass die Arbeitnehmerin ein solches Angebot annähme. Für die Berechtigung einer solchen Prognose besteht kein Anhaltspunkt. Die Arbeitnehmerin hat sich auf die Möglichkeit, auf der fraglichen Stelle weiterbeschäftigt zu werden, schon innerhalb der ihr gesetzten Frist zur Stellungnahme auf die Klageerwiderung und damit zu dem frühesten Zeitpunkt berufen, zu dem dies im Kündigungsschutzprozess veranlasst war.


Quelle: rechtslupe.de; BAG  Urteil vom 26. März 2015 – 2 AZR 417/14