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Betriebsbedingte Kündigung – und der freie Arbeitsplatz im Ausland

Die aus § 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KSchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung an einem anderen – freien – Arbeitsplatz zu beschäftigen, erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb oder Betriebsteil des Unternehmens.

Eine über die Vorgaben des KSchG hinausgehende „Selbstbindung“ des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Unternehmens mag sich im Einzelfall aus § 241 BGB, aus § 242 BGB oder aus einem Verzicht auf den Ausspruch einer Beendigungskündigung ergeben können.

Die aus § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung an einem anderen – freien – Arbeitsplatz im selben oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens zu beschäftigen, erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze im Ausland. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, sich mit dem Einwand von Deinert auseinanderzusetzen, dieses Verständnis von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 KSchG mache es Unternehmern „allzu einfach (…) die Lasten des Arbeitsrechts durch Standortverlagerungen abzuschütteln“. Es geht hier weder um die Verlegung eines Betriebs oder Betriebsteils noch auch nur um eine Funktionsnachfolge. Die Arbeitgeberin hat ihren Geschäftsbetrieb in Deutschland „ersatzlos“ eingestellt.

Die Arbeitgeberin hatte sich nicht – über die Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchGhinaus – in der Weise „selbst gebunden“, dass sie dem Arbeitnehmer kraft ihres Direktionsrechts einen – freien – Arbeitsplatz als Leiter einer türkischen Filiale hätte zuweisen oder ihm einen solchen im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen.

Die Arbeitgeberin musste den Arbeitnehmer nicht kraft ihres Direktionsrechts als Filialleiter in der Türkei einsetzen.

Es kann unterstellt werden, dass sie zu einer solchen Weisung entweder aufgrund der von ihr behaupteten Versetzungsklausel berechtigt gewesen wäre oder sie sich zumindest nach § 242 BGB so hätte behandeln lassen müssen. Gegen beides bestehen allerdings erhebliche Bedenken.

Eine formularmäßig verwendete Versetzungsklausel des vorgetragenen Inhalts dürfte nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sein. Zum einen dürfte sie iSv. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB irreführend sein, weil durch die Formulierung „Dieses kann nicht als eine Änderung zu Ungunsten des Personals angesehen werden“ der – unzutreffende – Eindruck erweckt wird, für eine auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigende Ausübungskontrolle im Einzelfall gemäß § 106 Satz 1 GewO§ 315 Abs. 3 BGB bleibe kein Raum mehr. Zum anderen dürfte es sich hinsichtlich der vorbehaltenen Versetzung in die Türkei um eine einheitliche, nicht teilbare Bestimmung handeln, die entgegen § 307 Abs. 2 Nr. 1§ 308 Nr. 4 BGB eine Anpassung der Vergütung an das „ortsübliche“ Lohnniveau ohne das Erfordernis einer Änderungskündigung vorsieht.

Die Arbeitgeberin wird sich nach § 242 BGB nicht so behandeln lassen müssen, als wäre die Klausel wirksam. Der Arbeitnehmer hatte zuvor weder Nachteile durch eine Anwendung dieser (unwirksamen) Versetzungsklausel erlitten, noch hatte sich bei ihm ein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden können, die Arbeitgeberin werde zur Vermeidung einer Beendigungskündigung von ihr Gebrauch machen. Er wurde zu keiner Zeit im Ausland beschäftigt, bestreitet die Existenz der – vermeintlich – dazu berechtigenden Klausel und bezeichnet es als „beiderseitige Vertragsgrundlage“, dass er ausschließlich in Deutschland eingesetzt werden sollte.

Jedenfalls war die Arbeitgeberin nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer – über die dazu nicht ausreichenden Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG hinaus – einen Arbeitsplatz in der Türkei zuzuweisen.

Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch zu machen, wenn dies für ihn die Gefahr begründet, einen Rechtsstreit führen zu müssen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB verlangt von ihm nicht, die Belange des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Belange – oder derjenigen anderer Arbeitnehmer – durchzusetzen.

Die Arbeitgeberin durfte aufgrund der vorangegangenen Gespräche der Parteien erwarten, dass der in Deutschland inzwischen tief „verwurzelte“ Arbeitnehmer, der es bevorzugt hatte, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden, die Zuweisung einer – jeden – Tätigkeit in der Türkei nicht einfach hinnähme. Sie musste ihn nicht aus falsch verstandener „Fürsorge“ gleichsam zu seinem „Glück zwingen“. Es kommt hinzu, dass der für den „abgebenden“ deutschen Betrieb gewählte Betriebsrat nach § 99 BetrVG die Zustimmung zur Versetzung sämtlicher betroffener Arbeitnehmer – auch des Arbeitnehmers – in die Türkei verweigert hatte. Darauf, ob dies beachtlich war, kommt es nicht an.

Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung, ob eine Pflicht zur Weiterbeschäftigung im Ausland aufgrund einer entsprechenden Versetzungsklausel – sei es aus § 1 Abs. 2 KSchG oder aus § 241 Abs. 2 BGB – ohnehin nur bei einer Betriebs- oder Betriebsteilverlagerung in einen anderen Staat oder zumindest bei einer „grenzüberschreitenden“ Funktionsnachfolge, nicht aber in dem hiesigen Fall der „ersatzlosen“ Einstellung des Geschäftsbetriebs in Deutschland in Betracht kommt.

Die Arbeitgeberin musste dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz als Filialleiter in der Türkei auch nicht im Wege der Änderungskündigung anbieten. Eine solche, über die Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG hinausgehende Verpflichtung folgte weder aus § 241 Abs. 2 BGB noch aus § 242 BGB. Die Arbeitgeberin hatte auf ihr Recht, eine Beendigungskündigung zu erklären, nicht verzichtet.

Zwar kann nach § 241 BGB unter Umständen eine Pflicht zur Vertragsanpassung bestehen. Eine solche erwächst jedoch lediglich auf Wunsch einer Vertragspartei und ist nur im Zusammenwirken beider Vertragspartner zu erfüllen. Damit scheidet eine Nebenpflicht des Arbeitgebers zum Ausspruch einer Änderungskündigung zumindest dann aus, wenn – wie im Streitfall – nicht auszuschließen ist, dass der Arbeitnehmer das mit ihr verbundene Änderungsangebot allenfalls unter dem Vorbehalt sozialer Rechtfertigung iSv. § 2 Satz 1 KSchG annähme.

Die Arbeitgeberin verhielt sich mit der Erklärung einer Beendigungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen auch nicht selbstwidersprüchlich iSv. § 242 BGB.

Sie agierte nicht unredlich, indem sie dem Arbeitnehmer zunächst eine Versetzung in die Türkei angeboten und ihm sodann eine entsprechende Weisung erteilt, schließlich aber eine betriebsbedingte Beendigungskündigung ausgesprochen hat. Durch die vorangegangenen „Versetzungsversuche“ hat sie dieses Recht – unabhängig von dem Fehlen des Zeitmoments – nicht verwirkt. Sie hatte nicht etwa eine Änderungskündigung als „kleinste“ zu befürchtende Alternative hingestellt.

Es war nicht, zumal nicht treuwidrig – selbstwidersprüchlich, die Kündigungen vorrangig auf die Weigerung des Arbeitnehmers zu stützen, weisungsgemäß in der Türkei tätig zu werden, und die ordentliche Beendigungskündigung hilfsweise damit zu begründen, dass er dort nicht eingesetzt werden müsse. Zum einen war der Arbeitnehmer lediglich dann – noch – vom Wegfall des Beschäftigungsbedarfs in Deutschland betroffen, wenn die Versetzung in die Türkei sich als unwirksam erwiese. Zum anderen ist die Annahme der Arbeitgeberin, ein Versetzungsrecht zu besitzen, aus dessen Wahrnehmung die Tätigkeitspflicht des Arbeitnehmers folge, ohne weiteres mit ihrer Leugnung einer Versetzungspflicht vereinbar. Nichts anderes folgt aus den ihre Weisung „bekräftigenden“ Abmahnungen. Auch sie verdeutlichten bloß, dass die Arbeitgeberin sich zu einer Weisung berechtigt und den Arbeitnehmer deshalb zum Tätigwerden in der Türkei verpflichtet sah. Für den Fall besserer Erkenntnis durfte sie – vorsorglich – eine Beendigungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erklären.

Durch die Versetzungsangebote und die anschließende, durch zwei Abmahnungen „untermauerte“ Weisung hat die Arbeitgeberin nicht auf den Ausspruch einer Beendigungskündigung wegen der Stilllegung ihres deutschen Betriebs verzichtet. Die Rechtsprechung zum Verzicht auf eine verhaltensbedingte Kündigung durch die Erteilung einer Abmahnung kann nicht auf die hier zu beurteilende Konstellation übertragen werden. Dem Verhalten der Arbeitgeberin lässt sich ein Verzicht auf eine Beendigungskündigung aus betrieblichen Erfordernissen nicht entnehmen. Handelte sie bei den „Versetzungsversuchen“ in Unkenntnis ihrer Berechtigung zum Ausspruch einer betriebsbedingten Beendigungskündigung, fehlte es ihr an einem Verzichtsbewusstsein. Unternahm sie diese Versuche wissentlich „überobligationsgemäß“, wollte sie sich für den Fall von deren Scheitern erkennbar nicht den „Rückzug“ auf die Gesetzeslage versperren. Sie gab durch keinerlei Verhalten konkludent zu verstehen, allenfalls eine Änderungskündigung erklären zu wollen.

Eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG war entbehrlich. Die Arbeitgeberin hat aufgrund der Stilllegung die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer ihres – auch insofern allein in den Blick zu nehmenden – deutschen Betriebs beendet.


Quelle: rechtslupe.de, BAG Urteil vom 24. September 2015 – 2 AZR 3/14