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Annahmeverzugslohn und der unterlassene Zwischenverdienst

Nach § 615 Satz 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was zu erwerben er böswillig unterlässt, wobei die Anrechnung bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs hindert und nicht nur zu einer Aufrechnungslage führt.

Die Vorschrift stellt – wie § 11 Nr. 2 KSchG – darauf ab, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) die Aufnahme einer anderen Arbeit zumutbar ist. Dabei kommt eine Anrechnung auch in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber besteht, der sich mit der Annahme der geschuldeten Dienste des Arbeitnehmers im Verzug befindet. In diesem Fall wird die anderweitige Beschäftigung stets eine nicht vertragsgemäße Arbeit sein, denn das Angebot vertragsgerechter Arbeit zwecks Erfüllung des bestehenden Arbeitsverhältnisses würde den Annahmeverzug beenden.

Böswillig iSd. § 615 Satz 2 BGB handelt der Arbeitnehmer, dem ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. So kann sie etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch eine nach § 99 Abs. 1 BetrVG erforderliche, aber fehlende Zustimmung des Betriebsrats zur Beschäftigung mit der angebotenen anderweitigen Tätigkeit kommt als Kriterium bei der Prüfung von Böswilligkeit iSv. § 615 Satz 2 BGB in Betracht. Erforderlich ist jedoch stets eine unter Bewertung der gesamten Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Interessenabwägung. Dies schließt es – worauf die Sichtweise des Landesarbeitsgerichts hinausläuft – aus, einen bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigenden Umstand losgelöst von den sonstigen Umständen des Einzelfalls gleichsam absolut zu setzen. Ebenso wie die objektiv vertragswidrige Arbeit nach den konkreten Umständen zumutbar sein kann, kommt dies im Einzelfall auch für eine Beschäftigung in Betracht, für die die Zustimmung des Betriebsrats gefehlt hat.

Die rechtskräftig festgestellte Unwirksamkeit der Versetzung und die mit einer unbilligen Weisung einhergehende Unverbindlichkeit schließen nicht zwangsläufig Böswilligkeit iSd. § 615 Satz 2 BGB aus. An seiner ursprünglich gegenteiligen Auffassung hat das Bundesarbeitsgericht bereits 2007 nicht mehr festgehalten. Denn Arbeitspflicht und Obliegenheit zur Rücksichtnahme betreffen unterschiedliche Kategorien. Deshalb zwingt auch – entgegen der Auffassung des Arbeitnehmers – die vorgenannte Entscheidung des Zehnten Bundesarbeitsgerichts des Bundesarbeitsgerichts nicht zur Rückkehr zur zitierten alten Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung, die argumentierte, der Arbeitnehmer könne nicht auf der einen Seite zur Ablehnung der (neuen) Tätigkeit berechtigt, gleichzeitig aber gehalten sein, diese Tätigkeit zu verrichten, um dem Vorwurf zu entgehen, er habe böswillig die anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft unterlassen. Dass der Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung vertragsrechtlich nicht folgen muss – im Streitfall also der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich nicht verpflichtet ist, als Senior Manager Security zu arbeiten – besagt nichts darüber, ob ihn im Annahmeverzug nach § 615 Satz 2 BGB die Obliegenheit trifft, aus Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) vorübergehend eine nicht vertragsgerechte Arbeit zu verrichten und dadurch einen zumutbaren anderweitigen Verdienst zu erzielen. Insoweit ist wertungsmäßig die Rechtslage nach § 615 Satz 2 BGB im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht anders als im gekündigten. Ist die Arbeitgeberkündigung unwirksam, war der Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum vertraglich nur zur „alten“ Arbeit verpflichtet, muss sich aber nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig – auch beim kündigenden Arbeitgeber – unterlassenen anderweitigen Verdienst anrechnen lassen. Sollte der Arbeitgeber unbillige Weisungen zur Tätigkeit des Arbeitnehmers als „Spielwiese für trennungswillige Arbeitgeber„ missbrauchen, kann dies bei der im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit der anderweitigen Tätigkeit erforderlichen Interessenabwägung berücksichtigt werden und zur Verneinung von Böswilligkeit des Arbeitnehmers führen.


Quelle: BAG, Urteil vom 23. Februar 2021 – 5 AZR 213/20