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EU-Vertragshändler und Ausgleichsanspruch

Ist deutsches Recht als Vertragsstatut eines Vertragshändlervertrags berufen, sind die Analogievoraussetzungen erfüllt, unter denen § 89b HGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf Vertragshändler entsprechend anzuwenden ist und hat der Vertragshändler seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in einem anderen (ausländischen) Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen (ausländischen) Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben, kann der Ausgleichsanspruch entsprechend § 89b HGB nicht im Voraus ausgeschlossen werden.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte eine deutsche Herstellerin mit ihrer schwedischen Vertragshändlerin die Geltung deutschen Rechts vereinbart und zugleich vereinbart, dass keine der Vertragsparteien berechtigt sein sollte, ab der Beendigung des Vertrags Entschädigungen oder Vergütungen geltend zu machen. Nach Beendigung des Vertragshändlervertrages machte die schwedische Vertragshändlerin den Ausgleichsanspruch entsprechend § 89b HGB geltend. Zu Recht, wie nun der Bundesgerichtshof befand:

Vorliegend war deutsches Recht als Vertragsstatut kraft wirksamer Rechtswahl der Parteien anwendbar. Auch waren bei der schwedischen Vertragshändlerin – von der Problematik des vertraglichen Tätigkeitsgebiets abgesehen – die Analogievoraussetzungen erfüllt, unter denen § 89b HGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf Vertragshändler entsprechend anzuwenden ist.

Der Bundesgerichtshof erachtet jedoch den vertraglichen Ausschluss des Anspruchs auf Ausgleich entsprechend § 89b HGB nicht für wirksam:

Nach § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB kann der Anspruch des Handelsvertreters auf Ausgleich im Voraus nicht ausgeschlossen werden. Liegen die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB auf das Vertragsverhältnis eines Vertragshändlers vor, so ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB entsprechend anzuwenden.

Ob die Parteien eines Vertragshändlervertrags, bei dem deutsches Recht als Vertragsstatut berufen ist, den Anspruch des Vertragshändlers auf Ausgleich entsprechend § 89b HGB im Voraus durch Vereinbarung ausschließen können, wenn der Vertragshändler seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in einem anderen (ausländischen) Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen (ausländischen) Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat, ist umstritten.

Nach einer Auffassung können die Vertragsparteien eines deutschem Recht unterliegenden Vertragshändlervertrags den Anspruch des Vertragshändlers auf Ausgleich entsprechend § 89b HGB nicht nur – entsprechend der in Bezug auf Handelsvertreter statuierten territorialen Differenzierung in § 92c Abs. 1 HGB – dann durch Vereinbarung im Voraus ausschließen, wenn der Vertragshändler seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag nicht innerhalb des Gebietes der Europäischen Union oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat, sondern auch dann, wenn der Vertragshändler seine Tätigkeit nach dem Vertrag in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat. Diese Abweichung von der in Bezug auf Handelsvertreter statuierten territorialen Differenzierung in § 92c Abs. 1 HGB wird vor allem damit begründet, dass es beim Vertragshändlerrecht – im Gegensatz zu dem nach Maßgabe der Richtlinie 86/653/EWG harmonisierten Handelsvertreterrecht – an einer Harmonisierung auf europäischer Ebene fehle.

Nach einer anderen Auffassung gilt hingegen das Ausschlussverbot entsprechend § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB bei einem deutschen Recht unterliegenden Vertragshändlervertrag auch dann, wenn der Vertragshändler seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat. Zur Begründung wird vor allem der Gesichtspunkt der ausgleichsrechtlichen Gleichbehandlung von Handelsvertretern und Vertragshändlern angeführt.

Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.

Ein Wille des Gesetzgebers dahingehend, dass dieser anlässlich der Neufassung von § 92c Abs. 1 HGB im Jahr 1989 den bis dahin bestehenden Gleichlauf bei der rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern und Vertragshändlern durchbrechen wollte, ist nicht feststellbar. Für die abermalige Änderung von § 92c Abs. 1 HGB im Jahr 1993 gilt Entsprechendes.

Nach der ursprünglichen Fassung von § 92c Abs. 1 HGB konnte hinsichtlich aller Vorschriften des Siebenten Abschnitts des Ersten Buches des Handelsgesetzbuchs (§§ 84 bis 92b HGB) etwas anderes vereinbart werden, wenn der Handelsvertreter keine Niederlassung im Inland hatte. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass die Vertragsparteien, sofern ein Handelsvertreter im Ausland tätig sei, in der Lage sein sollten, das Vertragsverhältnis den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen anzupassen, die unter Umständen von den inländischen erheblich abwichen.

Gemäß der Neufassung von § 92c Abs. 1 HGB aufgrund des Gesetzes vom 23.10.1989 zur Durchführung der Richtlinie 86/653/EWG kann hinsichtlich aller Vorschriften des Siebenten Abschnitts des Ersten Buches des Handelsgesetzbuchs (§§ 84 bis 92b HGB) etwas anderes vereinbart werden, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit für den Unternehmer nach dem Vertrag nicht innerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft auszuüben hat. Damit sollte den Erfordernissen der Richtlinie 86/653/EWG Rechnung getragen werden.

Zwar beschränkt sich der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653/EWG auf Handelsvertreterverhältnisse (Warenvertreterverhältnisse); die Richtlinie ist auf Vertragshändlerverhältnisse nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar. Daraus folgt aber nicht, dass sich der deutsche Gesetzgeber bei der Änderung von § 92c Abs. 1 HGB im Jahr 1989 auf eine Regelung speziell der Handelsvertreterverhältnisse beschränken wollte. Nachdem zu jener Zeit die durch das Urteil vom 11.12 1958 begründete Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur entsprechenden Anwendbarkeit des Handelsvertreterrechts auf Vertragshändlerverhältnisse bereits seit mehr als dreißig Jahren bestand, hätte es vielmehr nahegelegen und wäre zu erwarten gewesen, dass die Vertragshändler ausdrücklich von der in § 92c Abs. 1 HGB in Bezug auf Handelsvertreter statuierten territorialen Differenzierung ausgenommen werden, wenn es der Wille des Gesetzgebers gewesen wäre, den bis dahin bestehenden Gleichlauf bei der rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern und Vertragshändlern zu durchbrechen.

Entsprechendes gilt für die abermalige Änderung von § 92c Abs. 1 HGB im Jahr 1993 durch das Gesetz vom 27.04.1993 zur Ausführung des Abkommens vom 02.05.1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum, bei der lediglich nach den Wörtern „Gebietes der Europäischen Gemeinschaft“ die Wörter „oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“ eingefügt wurden. Mit dieser Änderung sollte den Anpassungsverpflichtungen hinsichtlich der Richtlinie 86/653/EWG aus dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum gegenüber dessen Vertragsstaaten Rechnung getragen werden.

Hinzu kommt, dass sich der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 92c Abs. 1 HGB im Jahr 1989 durch das Gesetz vom 23.10.1989 zur Durchführung der Richtlinie 86/653/EWG nicht auf eine strikte Umsetzung dieser – lediglich auf Warenvertreterverhältnisse anwendbaren – Richtlinie beschränkt hat, sondern darüber hinaus gegangen ist, indem er bei der territorialen Differenzierung in § 92c Abs. 1 HGB Warenvertreter und sonstige Handelsvertreter (z.B. Versicherungsvertreter, § 92 Abs. 2 HGB, Bausparkassenvertreter, § 92 Abs. 5 HGB, und Dienstleistungsvertreter) gleich behandelt hat.

Außerdem ist, wenn deutsches Recht als Vertragsstatut eines Vertragshändlervertrags berufen ist, auch – unbeschadet der fehlenden Harmonisierung des Vertragshändlerrechts auf europäischer Ebene – kein durchgreifender Grund erkennbar, den Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat, bezüglich der Unabdingbarkeit des zukünftigen Ausgleichsanspruchs (§ 89b Abs. 4 Satz 1 HGB entsprechend) anders zu behandeln als den Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag im Inland auszuüben hat.

Soweit etwa die Unabdingbarkeit des zukünftigen Ausgleichsanspruchs entsprechend § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB dem Schutz des Vertragshändlers vor der Gefahr dient, sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von dem Hersteller oder Lieferanten auf ihn benachteiligende Abreden einzulassen, besteht diese Gefahr für den Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat, in nicht geringerem Maße als für den Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag im Inland auszuüben hat.

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Auslegung von Art.19 der Richtlinie 86/653/EWG ist mangels Entscheidungserheblichkeit nicht veranlasst. Denn die – auf Warenvertreterverhältnisse zugeschnittene – Richtlinie 86/653/EWG ist, wie bereits erörtert, auf Vertragshändler nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar. Die Frage, ob und in welchem Umfang Vorschriften des deutschen Handelsvertreterrechts auf Vertragshändler entsprechend anzuwenden sind, wenn deutsches Recht als Vertragsstatut eines Vertragshändlervertrags berufen ist, ist mangels Vereinheitlichung des Vertragshändlerrechts unionsrechtlich nicht präformiert, sondern vom deutschen Recht autonom zu beantworten.

Die aufgeworfene Problematik einer möglichen Ungleichbehandlung von schwedischen und deutschen Herstellern oder Lieferanten, die daraus resultiert, dass bei deutschem Recht unterliegenden Vertragshändlerverträgen der Ausgleichsanspruch nicht im Voraus ausgeschlossen werden kann, während das schwedische Recht einen zwingenden Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers möglicherweise nicht vorsieht, ist unionsrechtlich unbedenklich, woran kein vernünftiger Zweifel besteht. Denn ein derartiges Rechtsgefälle wird mangels Harmonisierung des Vertragshändlerrechts dadurch legitimiert, dass die Rom IVerordnung eine Rechtswahl bei Vertragshändlerverträgen zulässt.


Quelle: BGH Urteil vom 25. Februar 2016 – VII ZR 102/15

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