• Adresse: Seilfahrt 101, D-44809 Bochum
  • Telefon: +49-234 588 2355
  • eMail: info(at)goormann-varga.eu

Blog

Betriebsvereinbarung – und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer

Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, nach der ein Arbeitgeber zu einem Personalgespräch, das er mit einem Arbeitnehmer führt, bevor er aufgrund eines diesem vorgeworfenen Fehlverhaltens eine arbeitsrechtliche Maßnahme ergreift, gleichzeitig auch den Betriebsrat zu laden hat, ist nach § 75 Abs. 2 BetrVG unwirksam.

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber nicht verlangen, ihn nach den Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung zu allen Personalgesprächen einzuladen, die sich auf eine mögliche „disziplinarische“ Maßnahme beziehen. Es bedarf dabei für das Bundesarbeitsgericht keiner Entscheidung, ob diese Betriebsvereinbarung gegen das Gebot der Bestimmtheit und der Normenklarheit verstößt, weil ihr sachlicher Geltungsbereich gemäß § 1 Buchst. b RBV („Prozess der Unternehmens, Organisations- und Personalentwicklung“) auch durch Auslegung nicht näher ermittelbar ist. Denn jedenfalls sind die einschlägigen Regelungen in der Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 75 Abs. 2 BetrVG iVm. Art. 2 Abs. 1Art. 1 Abs. 1 GG unwirksam. Die Betriebsparteien haben mit dem dort geregelten Verfahren die ihnen nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht verletzt, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.

Nach dieser Bestimmung haben die Betriebsparteien beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen das aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten. Dieses gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst insbesondere die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Der Gesetzgeber genügt insoweit seiner Pflicht, die Arbeitnehmer als Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch Kollektivvereinbarungen zu bewahren, indem er die Betriebsparteien in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen.

Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Den Betriebsparteien dürfen zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht.

Die in der Betriebsvereinbarung geregelte Einladung des Betriebsrats und das daran anknüpfende Verfahren zur Beteiligung eines Mitglieds des Betriebsrats an dem vor Ausspruch einer „disziplinarischen“ Maßnahme obligatorischen Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beeinträchtigen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zum Gespräch geladenen Arbeitnehmer.

Ein solches Personalgespräch dient der Vorbereitung einer „disziplinarischen“ Maßnahme, der typischerweise ein vom Arbeitgeber beanstandetes Verhalten des Arbeitnehmers zugrunde liegt. Da die Einladung an den Betriebsrat als Gremium gerichtet ist, wird die Information einer drohenden „disziplinarischen“ Maßnahme aufgrund eines (etwaigen) fehlerhaften Verhaltens des Arbeitnehmers allen Mitgliedern des Betriebsrats bekannt. Weil die Einladung des Betriebsrats nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung „gleichzeitig“ zu erfolgen hat, hängt es weder vom Willen des Arbeitnehmers ab, ob der Betriebsrat überhaupt von dem konkret bevorstehenden Gespräch erfährt, noch kann er selbst bestimmen, welches oder welche Mitglieder des Betriebsrats hiervon ggf. Kenntnis erlangen sollen.

Darüber hinaus sieht die Betriebsvereinbarung im hier entschiedenen Fall nicht vor, dass der betroffene Arbeitnehmer selbst entscheiden kann, welches Betriebsratsmitglied seines Vertrauens er zum Gespräch hinzuzieht. Weder der Wortlaut dieser Norm noch ihre Systematik lassen den Schluss darauf zu, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf hat, das am Gespräch teilnehmende Betriebsratsmitglied selbst zu bestimmen. Vielmehr richtet sich die Einladung zum Gespräch an den gesamten Betriebsrat. Dieser kann daher im Rahmen seines ihm obliegenden Auswahlermessens dasjenige Mitglied bestimmen, welches sich am Gespräch beteiligt. Das dem Arbeitnehmer in der Betriebsvereinbarung eingeräumte Wahlrecht beschränkt sich lediglich auf die Befugnis, das Gespräch ohne jegliche Beteiligung eines Betriebsratsratsmitglieds zu führen. Es beinhaltet jedoch nicht das Recht, es nur mit einem bestimmten – vom Arbeitnehmer ausgewählten – Betriebsratsmitglied zu führen.

Die hierdurch bewirkte Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Arbeitnehmer ist gemessen am Zweck der Betriebsratsbeteiligung nicht verhältnismäßig.

Die Betriebsvereinbarung verpflichtet den Arbeitgeber, mit dem betroffenen Arbeitnehmer vor Ausspruch einer „disziplinarischen“ Maßnahme zunächst ein Gespräch zu führen. Dem Arbeitnehmer soll damit Gelegenheit gegeben werden, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dadurch erhält er die Möglichkeit, ein ihm ggf. zur Last gelegtes Fehlverhalten auszuräumen oder entlastende Umstände vorzubringen und damit die vom Arbeitgeber beabsichtigte Maßnahme entweder gänzlich zu verhindern oder diese zumindest abzumildern. Als Unterstützung in einer Situation struktureller Unterlegenheit des Arbeitnehmers und ggf. zu dessen Beratung wollten die Betriebsparteien ihm hierbei ein Mitglied des Betriebsrats zur Seite stellen. Auch kann dem am Gespräch beteiligten Betriebsratsmitglied im Hinblick auf das vom Arbeitgeber vorgebrachte Fehlverhalten des Arbeitnehmers eine wichtige Kontroll- und Korrekturfunktion zukommen. Zudem wird durch seine Teilnahme sichergestellt, dass für den Arbeitnehmer eine Person als Zeuge zugegen ist.

Im Hinblick auf diesen Zweck sind derartige Regelungen in einer Betriebsvereinbarung – ihre Geeignetheit unterstellt – weder erforderlich noch angemessen.

Um dem Arbeitnehmer dem bei der Führung des obligatorischen Personalgesprächs gebotenen Schutz zu gewährleisten, ist die in der Betriebsvereinbarung vorgesehene Verfahrensweise nicht erforderlich. Eine im Interesse des Arbeitnehmers liegende Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Personalgespräch ist auch dann hinreichend gewährleistet, wenn dem betroffenen Arbeitnehmer ein Recht auf Hinzuziehung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds eingeräumt und er hierauf in der Einladung zum Gespräch hingewiesen wird. Dies zeigen die Regelungen in § 81 Abs. 4 Satz 3 und § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Nach dem sich aus diesen gesetzlichen Regelungen ergebenden Leitbild ist der durch die Beteiligung eines Betriebsratsmitglieds an den Erörterungen und Gesprächen des Arbeitgebers mit dem Arbeitnehmer über dessen berufliche Fähigkeiten und Leistungen vermittelte Schutz schon dann ausreichend sichergestellt, wenn die Initiativlast für die Hinzuziehung des Betriebsratsmitglieds beim Arbeitnehmer liegt. Dies gilt – wie § 81 Abs. 4 Satz 3 BetrVG erkennen lässt – auch dann, wenn eine Pflicht des Arbeitgebers zur Gesprächsführung mit dem Arbeitnehmer besteht.

Darüber hinaus ist das in der Betriebsvereinbarung geregelte Verfahren angesichts der Intensität der damit einhergehenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer in mehrfacher Hinsicht nicht angemessen.

Der Arbeitnehmer kann – anders als in § 81 Abs. 4 Satz 3§ 82 Abs. 2 Satz 2 und § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehen – nicht selbst entscheiden, welches Betriebsratsmitglied er als Person seines Vertrauens zum Gespräch hinzuziehen will. Entsendet der Betriebsrat ein Mitglied, in dessen Gegenwart der Arbeitnehmer – aus welchen Gründen auch immer – das Gespräch mit dem Arbeitgeber nicht führen möchte, hat er nur die Möglichkeit, dieses gänzlich abzulehnen. Dies steht im Widerspruch zu den Zielen, die die Betriebsparteien mit der Gesprächsteilnahme des Betriebsratsmitglieds verfolgen.

Zudem übt die Umkehr der Initiativlast für die Hinzuziehung eines Mitglieds des Betriebsrats Druck auf den Arbeitnehmer aus, wenn er sich gegen eine Teilnahme des Betriebsrats am Gespräch aussprechen will. Nach dem gesetzlichen Leitbild in § 81 Abs. 4 Satz 3 und § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG hat es der Arbeitnehmer in der Hand zu entscheiden, ob er überhaupt ein Mitglied des Betriebsrats zum Gespräch hinzuziehen möchte. Damit wird sichergestellt, dass er bei seiner Entscheidung nicht in Erklärungszwang gegenüber dem Betriebsrat gerät, wenn er sich gegen dessen Unterstützung ausspricht. Die in der Betriebsvereinbarung geregelte Verfahrensweise birgt demgegenüber die Gefahr, dass der Arbeitnehmer die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Gespräch nur deshalb nicht ablehnt, weil er andernfalls befürchtet, der Betriebsrat könnte annehmen, er bringe ihm kein Vertrauen (mehr) entgegen.

Hinzu kommt, dass die Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung für das am Gespräch teilnehmende Betriebsratsmitglied keine Pflicht zur Verschwiegenheit über dessen Inhalt geregelt haben. Die Vorschrift des § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG greift insoweit nicht. Auch eine analoge Anwendung von § 99 Abs. 1 Satz 3 und § 102 Abs. 2 Satz 5 BetrVG bzw. von § 82 Abs. 2 Satz 3 BetrVG scheidet aus. Eine solche setzt eine vom Normgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke voraus, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Hieran fehlt es.

Die verfahrensrechtlichen Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX gebieten keine andere Bewertung. Auch im Rahmen des bEM darf die Hinzuziehung des Betriebsrats nur mit vorheriger Einwilligung des Arbeitnehmers erfolgen. Unabhängig davon zielt das bEM darauf ab, eine bestehende und in aller Regel auch betriebsbekannte Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern. Damit dient dieses Verfahren anderen Zwecken als das typischerweise an ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers anknüpfende Personalgespräch.

Desweiteren ergibt sich auch aus den Unterrichtungsrechten des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bei einer etwaigen nachfolgenden Versetzung oder Kündigung des Arbeitnehmers vorliegend nichts Gegenteiliges. Die genannten Bestimmungen treffen keine Aussage darüber, wie die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem ggf. im Vorfeld einer solchen personellen Einzelmaßnahme zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stattfindenden Gespräch ausgestaltet werden kann.


BAG, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 1 ABR 12/17

Schreibe einen Kommentar